Die Augen folgen gerne den Spuren des Pinsels in den Gemälden von Markus Kottmann – wie er schnell oder langsam über die Leinwand gezogen worden ist, diese heftig oder zart berührt hat, in geraden oder gebogenen Bahnen über die Fläche bewegt worden ist, die Farbe zu Flächen verdichtet hat oder die Spuren wie Zeichen stehen gelassen hat. Es sind keine bekannten, mit konventionalen Bedeutungen aufgeladenen Zeichen, sondern Spuren des Pinsels, die nur aus dem Material der Ölfarbe und der Bewegung der Hand des Künstlers, dem subjektiven Impuls des Malers und seiner Intuition entstehen. Nie gesehene Form-Farbe-Konstellationen sind durch dieses Vorgehen zwischen Kontrolle und Zufall in der Tradition von Informel und abstraktem Expressionismus möglich. Sie verdichten und überlagern sich auf einer querrechteckigen Leinwand zu einer Komposition, die den Reichtum einer sinnlichen Malerei mit vielfältigen Möglichkeiten des Farbauftrags, unterschiedlichen Farbvaleurs, Kontrasten, räumlichen Wirkungen und inhaltlichen Assoziationen ausbreitet.
Auf einer zweiten Leinwand mit etwas größerer Seitenlänge erscheint die gleiche Konstellation leicht verändert – wie in einer Bildfolge eines Films vom Entstehungsprozess. In der Wiederholung geht der Maler zu sich selbst und seinem von Intuition bestimmten Gemälde auf Distanz und macht die eigenen Pinselgesten zu Motiven.
Beide Leinwände sind mit einem Abstand von 1 cm übereinander installiert. Zusammen bilden sie ein Werk von 75 x 75 cm, das im malerischen Prozess zu einer Gesamtkomposition entwickelt wurde. Den über den Bildrand fortsetzbar erscheinenden Pinselzügen wurden farbige Markierungen und Pinselspuren hinzugefügt, die die Bildgrenzen betonen und eine auf diese bezogene Komposition erkennbar werden lassen.
In diesem Prozess wechselt Markus Kottmann zwischen einer gestischen, subjektiv bestimmten Malerei und dem konzeptbestimmten Vorgehen einer reflektierenden, analysierenden Kunst und verschränkt die beiden Möglichkeiten. Das Schwelgen in sinnlicher Malerei verbindet sich mit einem Nachdenken über künstlerische Grundhaltungen sowie über kunstwissenschaftliche und philosophische Begriffe wie Konkretion und Repräsentation, Identität und Abweichung, Ähnlichkeit und Unterschiedlichkeit, Einzigartigkeit und Wiederholbarkeit, Behauptung und Befragung, Intuition und Rationalität.
Seine besondere künstlerische Position entwickelte Markus Kottmann auf der Grundlage seiner künstlerischen Erfahrung und seiner Vertrautheit mit der kunstgeschichtlichen Entwicklung. Seine kunsttheoretischen Überlegungen vereinen die romantische Vorstellung vom subjektiv schaffenden Künstler, wie sie das Informel voraussetzte, mit der pragmatischen, analysierenden Haltung von Minimal Art und Konzeptkunst, um eine zeitgenössische künstlerische Praxis zu entwickeln, deren Realisate den Betrachtenden eine aktive Rolle zuweisen und die Produktion von Gedanken über die Malerei anregen.
Mit ihrem visuellen Reichtum und ihrer Konzeption verführen die Werke von Markus Kottmann die Betrachtenden zum Verweilen vor den Originalen – zu intensiver Betrachtung, zum Schauen, zu vergleichendem Sehen, zum Genießen und zum Reflektieren. Mit ihrer Struktur und Größe machen die Gemäldepaare es den Betrachtenden leicht, ein Werk als Gegenüber zu erleben und zu erfassen – und lustvoll im Bilde zu sein.